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Auf der Kippe?

Die Klimaerwärmung als gesellschaftliche und ethische Herausforderung

Die ersten Brixner Philosophietage fanden im Jahr 2022 am 1./2. September statt und setzten sich mit den ethischen Aspekten der Klimarkise auseinander. 

Die rote Frage, die sich durch die Tagung gezogen hat, war: Ist die Umweltkrise eine späte Quittung des christlichen Menschenbildes?

Dürrekatastrophe, Klimakollaps, Hitzewelle … Die Schlagzeilen dieser Tage sind beängstigend. Sie machen deutlich: Um unseren blauen Planeten Erde steht es nicht gut. Wie soll es weitergehen? Wie kann das Schlimmste abgewendet werden? Vereinzelt wird auch die Frage nach den Verantwortlichen gestellt. Wer ist schuld an der ökologischen Misere?

Die Suche nach den geistigen Brandstiftern der Umweltzerstörung ist kein neues Phänomen. Bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde heftig über die geistesgeschichtlichen Wurzeln der Naturausbeutung diskutiert. Ins Fadenkreuz der Kritik geriet auch das Christentum. Der Raubbau an der Natur sei Folge des christlichen Menschenbildes, so der Vorwurf. Als Krone der Schöpfung stehe der Mensch über der Natur und dürfe diese für seine Zwecke nutzen. Der Mensch solle sich die Erde unterwerfen, und über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und die Landtiere herrschen (vgl. Gen 1,28). Jahrhundertelang hätten Christinnen und Christen dieses Gebot streng befolgt, mit verheerenden Folgen für das ökologische Gleichgewicht und die Artenvielfalt.

Ob die skizzierten Vorwürfe berechtigt sind und wie die christliche Theologie heute Stellung und Aufgabe des Menschen in der Natur bestimmt, wird im Rahmen der Brixner Philosophietage thematisiert und diskutiert.


Laudato si' - ein gewichtiges Wort von Papst Franziskus

Laudato si’ (2015) ist wohl jenes Lehrschreiben von Papst Franziskus, das weltweit am meisten Aufsehen erregt hat und breit rezipiert wird. Der Text wird oft auch als Umweltenzyklika oder als „grüne Enzyklika“ bezeichnet, denn wie keine kirchliche Verlautbarung zuvor ist sie den umweltethischen Themen gewidmet, im Besonderen der globalen Klimaerwärmung. Ganz bewusst hat der Papst die Enzyklika vor der UN-Konferenz COP 21 in Paris im November 2015 veröffentlicht und wollte damit einen konstruktiven Beitrag zum auszuverhandelnden Klimaabkommen leisten.

Dennoch würde es zu kurz greifen, Laudato si’ nur als „grünen“ Text anzusehen, denn er reiht sich nahtlos ein in die lange Liste der Sozialenzykliken der katholischen Kirche. Die Stärke des Textes liegt nämlich in seiner ganzheitlichen Perspektive. Der Papst versteht es, die umweltethischen mit den brennenden sozialen Fragen zu verbinden.
Dieser ganzheitliche Ansatz hat besonders in wissenschaftlichen Fachkreisen eine positive Rezeption gefunden, während beobachtet werden kann, dass die innerkirchliche Rezeption weiterhin zu wünschen übrig lässt. Das kann daran liegen, dass der Papst herkömmliche Selbstverständlichkeiten eines vermeintlich christlichen Menschen- und Weltbildes kritisch hinterfragt und infrage stellt. So kritisiert er die Anthropozentrik und mahnt ein, den Eigenwert eines jeden Geschöpfes zu achten. Wir dürfen kein Geschöpf allein auf seine Funktion für uns Menschen reduzieren, so der Papst.


Anthropozän

Es war erst vor gut 20 Jahren, als im Jahr 2000 die beiden Wissenschaftler Paul Crutzen und Eugene F. Stoermer den mittlerweile etablierten Begriff "Anthropozän" als Bezeichnung für die "die geologische Epoche des Menschen" einführten. Was motivierte sie dazu? Sie wollten die Entwicklung der letzten 300 Jahre bezeichnen, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so enorm intensiviert hat, dass nämlich die Folgen des menschlichen Handelns bereits jetzt vorhersehbare Auswirkungen auf radikale Veränderungen in der Geschichte unseres Planeten in den kommenden 300.000 Jahren haben werden.

Die Zweideutigkeit des Begriffs liegt darin, dass der Mensch, der „jüngste Neuankömmling in der Erdgeschichte“, eine geologische Epoche, die normalerweise Millionen von Jahren umfasst, nach sich selbst benennt. Das mag anmaßend, ja sogar „anthropolatrisch“ erscheinen, wenn wir bedenken, dass sich der Homo sapiens erst vor etwa 190.000 Jahren entwickelt hat.

Es gibt jedoch einen deutlichen Unterschied zwischen der Benennung des Anthropozäns und früheren geologischen Epochen. Wir leben nicht einfach in einer bestimmten Epoche, sondern die Besonderheiten dieser Epoche werden von der Menschheit selbst hervorgebracht. Das Anthropozän ist kein Schicksal, sondern ein vorhersehbares Ergebnis des menschlichen Handelns. Es ist zwar richtig, dass Prozesse wie der Klimawandel oder das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten die geologische Geschichte des Planeten schon immer geprägt haben, aber es ist ebenso richtig, dass die aktuellen Entwicklungen und ihre Geschwindigkeit durch menschliches Handeln verursacht oder zumindest verstärkt werden. Der Begriff hat also sowohl eine deskriptive als auch eine ethische Dimension, denn er verweist auf die Verantwortung des Menschen für die stattfindenden geologischen Entwicklungen. Das Anthropozän bedeutet also nicht nur eine globale Transformation der Erde, sondern erfordert auch ein Nachdenken über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur im Sinne einer wahrgenommenen Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur, deren Teil er ist und ohne die er nicht überleben kann.

Diesen Aspekt vertieft Prof. Martin M. Lintner.

Tier- und Artenschutz

Tier- und Artenschutz können im Rahmen von Naturschutzstrategien zu einem so genannten Zielkonflikt führen. Damit ist gemeint, dass der Schutz einer bestimmten Art mit dem konkreten Tierschutz, d.h. mit dem Schutz von Individuen einer anderen Art nicht kompatibel ist. Die Entnahme von Füchsen beispielsweise widerspricht einer reinen Tierschutzlogik, während sie im Sinne des Artenschutzes für verschiedenste Bodenbrüter ein wertvoller Beitrag ist. Diese Zielkonflikte gilt es in Naturschutzdebatten zu benennen und ihre philosophisch-weltanschauliche Dimension zu erkennen. Denn letzten Endes führen nicht nur ökologische Vorstellungen zu Entscheidungen im Naturschutz, sondern auch Wertvorstellungen in der Gesellschaft. Bei diesen Wertvorstellungen spielen u. a. auch ästhetische Aspekte eine wichtige Rolle. Je schöner, je wertvoller und einzigartiger eine Tier- oder Pflanzenart für den Menschen ist, desto mehr ist er bereit, sie zu schützen und andere Arten dafür auch zu begrenzen.

Biodiversität

Der Eröffnungsvortrag der Philosophietage war dem Thema Biodiversität gewidmet. Die Professorin Ulrike Tappeiner hat die Frage nach dem Sinn von Biodiversität beleuchtet.

Biodiversität oder biologische Vielfalt meint die genetische Vielfalt innerhalb einer Art, die Vielfalt an Arten und die Vielfalt an Ökosystemen. Sie ist auf allen drei Ebenen rückläufig. Um diesen Trend zu stoppen, werden gesellschaftlich verschiedene Maßnahmen diskutiert und auch unterschiedliche Argumente ins Feld geführt.

Solche Argumente sind anthropozentrisch ausgerichtet, wenn die Bewahrung von Biodiversität deshalb eingefordert wird, weil ein Verlust derselben die Möglichkeit der Nutzung von natürlichen Ressourcen durch den Menschen einschränken würde. Solche Argumente sind bio- oder ökozentrisch, wenn Pflanzen, Tieren aber auch gesamten Ökosystemen ein so genannter Eigenwert zugesprochen wird. Schließlich lässt sich für die biologische Vielfalt aber auch so etwas wie ein ästhetischer Wert anführen. Die Vielfalt des Lebendigen erzeugt im Menschen die Erfahrung des Schönen und führt ihn zum Staunen, Loben und Danken.

Diese unterschiedlichen Argumentationsweisen hat in der Tagung von Professor Markus Moling betrachtet und diskutiert. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf der These, dass die Natur schön sei.

>> Interview mit Prof. Ulrike Tappeiner zur Bedeutung der Biodiversität <<

Wasser

Wasser ist eine wesentliche Lebensgrundlage und gleichzeitig eine wichtige Ressource in der Energieerzeugung aber auch in der Freizeitgestaltung. Die zunehmende Wasserknappheit der letzten Monate führt uns radikal vor Augen, dass diese natürliche Ressource nicht grenzenlos zur Verfügung steht. Im Verbrauch von Wasser drängen sich mehr und mehr ethische Fragestellungen auf. Wie sollen wir im Blick auf die Erderwärmung mit der Ressource Wasser umgehen?

Wir sind gefordert, darüber nachzudenken, zu welchen Zwecken wir Wasser verbrauchen und was die Solidarität mit jenen von uns fordern wird, die unter Wasserknappheit leiden. In der Nutzung des Wassers gilt es grundlegende, d.h. für das Überleben notwendige, so genannte basale Interessen von nicht basalen Interessen zu unterscheiden. Drohen tatsächlich immer mehr niederschlagsarme Jahre stellt sich verstärkt die Frage, wie und wo wir Wasser zu Freizeitzwecken einsetzen.

Diese Fragestellung trifft ein Herzstück der alpinen Wirtschaft, nämlich den Wintersport, der vielerorts nur mehr durch das Zuführen von Kunstschnee und damit von großen Wassermengen durchgeführt werden kann. Sie betrifft aber auch die Landwirtschaft und den Tourismus allgemein.

Der sorgsamere Umgang mit der Ressource Wasser im Zeichen der Nachhaltigkeit kann als Aufruf zur Selbstbeschränkung unserer Gesellschaft gewertet werden. Selbstbeschränkung aber ist wiederum ein spirituelles Prinzip, das nicht nur von technischen Möglichkeiten und Fähigkeiten abhängt, sondern vor allem auch von einer geistigen Grundhaltung der Menschen. Dazu kann eine christliche Ethik und eine spirituell geprägte Sicht auf die Wirklichkeit wesentlich mithelfen.

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